Song: Spiel nicht mit den Schmuddelkindern
Year: 1965
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"Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, sing nicht ihre Lieder –
Geh doch in die Oberstadt, mach's wie deine Brüder!"

So sprach die Mutter, sprach der Vater, lehrte der Pastor –
Er schlich aber immer wieder durch das Gartentor
Und in die Kaninchenställe
Wo sie Sechsundsechzig spielten
Um Tabak und Rattenfelle
Mädchen unter Röcke schielten
Wo auf alten Bretterkisten
Katzen in der Sonne dösten
Wo man wenn der Regen rauschte
Engelbert dem Blöden, lauschte
Der auf einen Haarkamm biss
Rattenfängerlieder blies
Abends am Familientisch, nach dem Gebet zum Mahl
Da hieß es dann: "Schon wieder riechst du nach Kaninchenstall!

Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, sing nicht ihre Lieder –
Geh doch in die Oberstadt, mach's wie deine Brüder!"
Sie trieben ihn in eine Schule in der Oberstadt –
Kämmten ihm die Haare und die krause Sprache glatt
Lernte Rumpf und Wörter beugen
Und statt Rattenfängerweisen
Musste er das Largo geigen
Und vor dürren Tantengreisen
Unter roten Rattenwimpern
Par cœr Kinderszenen klimpern
Und, verklemmt in Viererreihen
Knochen morsch und morscher schreien –
Zwischen Fahnen aufgestellt
Brüllen, daß man Freundschaft hält!
Schlich er manchmal abends zum Kaninchenstall davon
Dann hockten da die Schmuddelkinder, sangen voller Hohn:

"Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, sing nicht ihre Lieder –
Geh doch in die Oberstadt, mach's wie deine Brüder!"

Aus Rache ist er reich geworden. In der Oberstadt
Da hat er sich ein Haus gebaut, nahm jeden Tag ein Bad
Roch, wie bess're Leuten riechen –
Lachte fett, wenn alle Ratten
Ängstlich in die Gullys wichen
Weil sie ihn gerochen hatten
Und Kaninchenställe riss er
Ab, an ihre Stelle ließ er
Gärten für die Kinder bauen
Liebte hochgestellte Frauen
Schnelle Wagen und Musik –
Blond und laut und honigdick
Kam sein Sohn, der Nägelbeißer, abends spät zum Mahl
Roch er an ihm, schlug ihn, schrie: "Stinkst nach Kaninchenstall!
Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, sing nicht ihre Lieder –
Geh doch in die Oberstadt, mach's wie deine Brüder!"

Und eines Tages hat er eine Kurve glatt verfehlt –
Man hat ihn aus einem Ei von Schrott herausgepellt
Als er später durch die Straßen
Hinkte, sah man ihn an Tagen
Auf 'nem Haarkamm Lieder blasen
Rattenfell am Kragen tragen –
Hinkte hüpfend hinter Kindern
Wollte sie am Schulgang hindern
Und strich um Kaninchenställe –
Eines Tags in aller Helle
Hat er dann ein Kind betört
Und in einen Stall gezerrt
Seine Leiche fand man, die im Rattenteich rumschwamm –
Drumherum die Schmuddelkinder bliesen auf dem Kamm:

"Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, sing nicht ihre Lieder –
Geh doch in die Oberstadt, mach's wie deine Brüder!"

( Franz Josef Degenhardt )
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