Song: Sudelbuch L 1796 - 1799
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Artist: Georg Christoph Lichtenberg
Year: 2013Viewed: 48 - Published at: 9 years ago
Ein Gesichtchen nicht zum Küssen, sondern zum Hineinbeißen, schreibt der hitzige Lion.
[L 16]
Große Eroberer werden immer angestaunt werden, und die Universalhistorie wird ihre Perioden nach ihnen zuschneiden. Das ist traurig, es liegt aber in der menschlichen Natur. Gegen den großen und starken Körper selbst eines Dummkopfs wird immer der kleine des größten Geistes, und sonach der große Geist selbst verächtlich erscheinen, wenigstens für den größesten Teil der Welt, und das solange Menschen Menschen sind. Den großen Geist im kleinen Körper vorzuziehn ist Überlegung, und zu der erheben sich die wenigsten Menschen. Bei einem Viehmarkt sind immer die Augen auf den größesten und fettesten Ochsen gerichtet.
[L 37]
Daß in den Kirchen gepredigt wird, macht deswegen die Blitzableiter auf ihnen nicht unnötig.
[L 67]
Die glücklichen Zeiten des Lebens, da man noch nicht denkt, wie alt man ist, noch kein Buch hält über die Haushaltung des Lebens.
[L 79]
Eine der seltsamsten Wortverbindungen, deren die menschliche Sprache fähig ist, ist wohl die: Wenn man nicht geboren wird, so ist man von allem Leiden frei. pp.
[L 85]
Da man beim Frieden das Te Deum laudamus anstimmt, so wäre doch nichts natürlicher als [wenn man] beim Anfang des Krieges das Te Diabolum (damnamus) anstimmte (besser). Wäre es nicht eines Dichters würdig ein Te diabolum zu dichten, und eines Musikers zu komponieren?
[L 280]
Was die wahre Freundschaft und noch mehr das glückliche Band der Ehe so entzückend macht, ist die Erweiterung seines Ichs und zwar über ein Feld hinaus, das sich im einzelnen Menschen durch keine Kunst in der Welt schaffen läßt. Zwei Seelen, die sich vereinigen, vereinigen sich dennoch nie ganz so, daß nicht immer noch der beiden so vorteilhafte Unterschied bliebe der die Mitteilung so angenehm macht. Wer sich sein eigenes Leiden klagt, klagt es sicherlich vergeblich, wer es der Frau klagt, [klagt] es einem Selbst das helfen kann und schon durch die Teilnahme hilft. Ebenso wer gern sein Verdienst gerühmt hört findet ebenfalls in ihr ein Publikum, gegen welches er sich rühmen kann, ohne Gefahr sich lächerlich zu machen.
[L 308]
Wenn die Erinnerung an die Jugend nicht wäre, so würde man das Alter nicht verspüren, nur, daß man das nicht mehr zu tun vermag, was man ehemals vermochte, macht die Krankheit aus. Denn der Alte ist gewiß ein ebenso vollkommenes Geschöpf in seiner Art als der Jüngling.
[L 532]
Das Wort Entbindung ist zweideutig; es kann auch den Tod bedeuten.
[L 540]
Er schliff immer an sich, und wurde am Ende stumpf, ehe er scharf war.
[L 556]
Ich wollte einen Teil meines Lebens hingeben, wenn ich wüßte was der mittlere Barometerstand im Paradiese gewesen ist.
[L 557]
Das Schafs-Kleid des goldnen Vlieses.
[L 563]
Es ist in vielen Dingen eine schlimme Sache um die Gewohnheit. Sie macht, daß man Unrecht für Recht, und Irrtum für Wahrheit hält.
[L 569]
Ein Urteil über Jean Pauls Romanen in der Gothaischen gelehrten Zeitung 1798. No. 74. S. 659 ist vortrefflich. Man kann nichts Besseres und gründlicheres über diesen sonderbaren Schriftsteller sagen. «Das Interesse, das er erregt, ist nicht so wohl ein Interesse an seinen Personen und deren Geschichte, als vielmehr an ihm und seinem Geiste und seiner Empfindung, wie sie sich in der Erzählung offenbaren. Statt, daß wir sonst den Verfasser über seinen Personen vergessen, ist es hier umgekehrt; wir vergessen die Personen und die ganze Geschichte über dem Verfasser.»
[L 578]
Ist es nicht sonderbar, daß die Menschen so gern für die Religion fechten und so ungern nach ihren Vorschriften leben?
[L701]
Vielleicht ist die Vervollkommnung des menschlichen Geschlechts, und dessen Annäherung zu einem moralischen Ruhestand der Annäherung zur Ruhe der Rinde der Kugel selbst proportional. Wir werden besser werden, wenn es mit dieser Rinde besser wird, und einfacher werden, wenn die Erde einfacher wird. Ein Streifen Land unter dem Äquator, oder zwei Streifen diesseits und jenseits desselben, nicht über einen Grad breit, das übrige lauter einförmiges Wasser. Vielleicht 2 Menschen und eine Paradies-Insel, das Ende vom Liede.
[L 717]
Es ist immer sonderbar, daß man so viel von unserer Fortdauer nach dem Tode spricht, und so wenig von der Vor-Dauer vor der Geburt. Ich sollte denken, es wäre nach unserer sehr /erbärmlichen/unsicheren/ Lage in Rücksicht auf das Zukünftige wovon uns alles überzeugt sehr viel natürlicher uns einmal um jene zu bekümmern. Was unsere Erdkruste dereinst gewesen ist, läßt sich denn doch noch vernünftig erträumen. Was aus ihr werden wird, davon wissen wir nichts. Man muß hier nicht einwenden, wir kennen unsern Geist, unser Ich besser als die Erde. (Das ist noch eine große Frage.) Aber auch zugegeben, so ist doch offenbar, daß wir in die Schlüsse auf das, was wir sein werden, zu wenig von dem eintragen, was wir waren, ich meine vor unserer Geburt. Eine starke Rücksicht auf jene Zeit ohne Furcht würde gewiß von Einfluß sein, und mehr Auskunft über unsern Zustand nach dem Tode geben, als alle unser jetziger sophistischer Wörterkram. «Nach dem Tode» müßte man nicht sagen, sondern «vor dem Leben» und «nach dem Leben». - Es wird wohl einerlei sein. - Hiervon künftig mehr. Die Lampe vor dem Anzünden und vor dem Auslöschen.
[L 721]
[L 16]
Große Eroberer werden immer angestaunt werden, und die Universalhistorie wird ihre Perioden nach ihnen zuschneiden. Das ist traurig, es liegt aber in der menschlichen Natur. Gegen den großen und starken Körper selbst eines Dummkopfs wird immer der kleine des größten Geistes, und sonach der große Geist selbst verächtlich erscheinen, wenigstens für den größesten Teil der Welt, und das solange Menschen Menschen sind. Den großen Geist im kleinen Körper vorzuziehn ist Überlegung, und zu der erheben sich die wenigsten Menschen. Bei einem Viehmarkt sind immer die Augen auf den größesten und fettesten Ochsen gerichtet.
[L 37]
Daß in den Kirchen gepredigt wird, macht deswegen die Blitzableiter auf ihnen nicht unnötig.
[L 67]
Die glücklichen Zeiten des Lebens, da man noch nicht denkt, wie alt man ist, noch kein Buch hält über die Haushaltung des Lebens.
[L 79]
Eine der seltsamsten Wortverbindungen, deren die menschliche Sprache fähig ist, ist wohl die: Wenn man nicht geboren wird, so ist man von allem Leiden frei. pp.
[L 85]
Da man beim Frieden das Te Deum laudamus anstimmt, so wäre doch nichts natürlicher als [wenn man] beim Anfang des Krieges das Te Diabolum (damnamus) anstimmte (besser). Wäre es nicht eines Dichters würdig ein Te diabolum zu dichten, und eines Musikers zu komponieren?
[L 280]
Was die wahre Freundschaft und noch mehr das glückliche Band der Ehe so entzückend macht, ist die Erweiterung seines Ichs und zwar über ein Feld hinaus, das sich im einzelnen Menschen durch keine Kunst in der Welt schaffen läßt. Zwei Seelen, die sich vereinigen, vereinigen sich dennoch nie ganz so, daß nicht immer noch der beiden so vorteilhafte Unterschied bliebe der die Mitteilung so angenehm macht. Wer sich sein eigenes Leiden klagt, klagt es sicherlich vergeblich, wer es der Frau klagt, [klagt] es einem Selbst das helfen kann und schon durch die Teilnahme hilft. Ebenso wer gern sein Verdienst gerühmt hört findet ebenfalls in ihr ein Publikum, gegen welches er sich rühmen kann, ohne Gefahr sich lächerlich zu machen.
[L 308]
Wenn die Erinnerung an die Jugend nicht wäre, so würde man das Alter nicht verspüren, nur, daß man das nicht mehr zu tun vermag, was man ehemals vermochte, macht die Krankheit aus. Denn der Alte ist gewiß ein ebenso vollkommenes Geschöpf in seiner Art als der Jüngling.
[L 532]
Das Wort Entbindung ist zweideutig; es kann auch den Tod bedeuten.
[L 540]
Er schliff immer an sich, und wurde am Ende stumpf, ehe er scharf war.
[L 556]
Ich wollte einen Teil meines Lebens hingeben, wenn ich wüßte was der mittlere Barometerstand im Paradiese gewesen ist.
[L 557]
Das Schafs-Kleid des goldnen Vlieses.
[L 563]
Es ist in vielen Dingen eine schlimme Sache um die Gewohnheit. Sie macht, daß man Unrecht für Recht, und Irrtum für Wahrheit hält.
[L 569]
Ein Urteil über Jean Pauls Romanen in der Gothaischen gelehrten Zeitung 1798. No. 74. S. 659 ist vortrefflich. Man kann nichts Besseres und gründlicheres über diesen sonderbaren Schriftsteller sagen. «Das Interesse, das er erregt, ist nicht so wohl ein Interesse an seinen Personen und deren Geschichte, als vielmehr an ihm und seinem Geiste und seiner Empfindung, wie sie sich in der Erzählung offenbaren. Statt, daß wir sonst den Verfasser über seinen Personen vergessen, ist es hier umgekehrt; wir vergessen die Personen und die ganze Geschichte über dem Verfasser.»
[L 578]
Ist es nicht sonderbar, daß die Menschen so gern für die Religion fechten und so ungern nach ihren Vorschriften leben?
[L701]
Vielleicht ist die Vervollkommnung des menschlichen Geschlechts, und dessen Annäherung zu einem moralischen Ruhestand der Annäherung zur Ruhe der Rinde der Kugel selbst proportional. Wir werden besser werden, wenn es mit dieser Rinde besser wird, und einfacher werden, wenn die Erde einfacher wird. Ein Streifen Land unter dem Äquator, oder zwei Streifen diesseits und jenseits desselben, nicht über einen Grad breit, das übrige lauter einförmiges Wasser. Vielleicht 2 Menschen und eine Paradies-Insel, das Ende vom Liede.
[L 717]
Es ist immer sonderbar, daß man so viel von unserer Fortdauer nach dem Tode spricht, und so wenig von der Vor-Dauer vor der Geburt. Ich sollte denken, es wäre nach unserer sehr /erbärmlichen/unsicheren/ Lage in Rücksicht auf das Zukünftige wovon uns alles überzeugt sehr viel natürlicher uns einmal um jene zu bekümmern. Was unsere Erdkruste dereinst gewesen ist, läßt sich denn doch noch vernünftig erträumen. Was aus ihr werden wird, davon wissen wir nichts. Man muß hier nicht einwenden, wir kennen unsern Geist, unser Ich besser als die Erde. (Das ist noch eine große Frage.) Aber auch zugegeben, so ist doch offenbar, daß wir in die Schlüsse auf das, was wir sein werden, zu wenig von dem eintragen, was wir waren, ich meine vor unserer Geburt. Eine starke Rücksicht auf jene Zeit ohne Furcht würde gewiß von Einfluß sein, und mehr Auskunft über unsern Zustand nach dem Tode geben, als alle unser jetziger sophistischer Wörterkram. «Nach dem Tode» müßte man nicht sagen, sondern «vor dem Leben» und «nach dem Leben». - Es wird wohl einerlei sein. - Hiervon künftig mehr. Die Lampe vor dem Anzünden und vor dem Auslöschen.
[L 721]
( Georg Christoph Lichtenberg )
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