Song: Die Entwicklung von Rap 1/5
Viewed: 38 - Published at: 9 years ago
Artist: Markus Heide
Year: 2013Viewed: 38 - Published at: 9 years ago
4.1. Rap wird Vinyl
now, what you hear is not a test, I'm rappin' to the beat
and me, the groove, and my friends are gonna try to move your feet.
Sugarhill Gang (1979): Rapper ́s Delight
Die erste weltweit erfolgreiche Rap-Single109 im Jahr 1979 markierte einen eklatanten Einschnitt in der Entwicklung von HipHop: Rapper ́s Delight der Sugarhill Gang aus New Jersey landet auf Platz 36 der US-Charts und Platz 3 der UK-Charts: Rap feiert seinen weltweiten kommerziellen Durchbruch und löst sich von den anderen Elementen des HipHop bzw. HipHop wird fortan synonym für Rap gebraucht.110
Die New Yorker HipHop-Szene blickte teils neidisch, teils aber auch empört auf das zusammengewürfelte Trio111 aus dem benachbarten New Jersey, denn sie sehen nicht nur den Erfolg der Rapper, sondern sie erkennen in den Strophen auch einige ihrer eigenen Reime wieder;112 wurden diese Phrasen zuvor von jedermann wie selbstverständlich auf den Jams113 in verschiedenen Variationen gebraucht,114 entstand nun, als diese Reime auf Schallplatte erstmals fixiert und öffentlich waren, eine Debatte um Autorschaft und Originalität im Rap.
Das für die Masse konzeptionierte Lied der Sugarhill Gang, benannt nach der Plattenfirma, wies klanglich betrachtet enorme Unterschiede zu den Bühnenevents auf: Die musikalische Grundlage bildeten keine durch einen DJ virtuos aneinandergereihten Breaks, sondern das im selben Jahr höchst erfolgreiche Disco-Lied Good Times von Chic, welches für Rappers Delight mit Musikern im Studio nachgespielt wurde115 und sich dank seiner repetitiven Struktur und eingängiger Melodie gleichsam für Rap und das Ohr des Massenmarktes eignete.116
Der Text war zwar noch immer stark an die Live-Situation angelehnt und sprach zu einem fiktiven Publikum,117 doch der fast eine Viertelstunde anhaltende Vortrag war hinsichtlich seiner Rhythmik und Dynamik eher monoton:
"Musikalisch war die Platte allerdings weniger aufregend. In den frühen Tagen der Maxi-Single pflegte man die verfügbare Zeit voll zu nutzen. [...] 14 Minuten und 10 Sekunden Non-Stop- Reime der Sugarhill Gang erinnerte eher an den Landfunk oder die Börsenkurse."118
Gründe hierfür sind auch in der „glatten“ Abmischung für das Radio und den Massenmarkt zu sehen, wobei extreme Spitzen in der Lautstärke, sehr basslastige Frequenzen und sonstige Verzerrungen lieber vermieden werden. Doch gerade diese Merkmale und das „Arbeiten im roten Bereich“119 sind eigentlicher Bestandteil im Produktionsprozess von Rap.
In seiner inhaltlichen Struktur war Rapper ́s Delight immer noch – wie alle frühen Raps – „a loose mix of boasts, brags [beides Formen des Selbstlobes, d.V.], artist-audience routines, and short narratives“120 ohne tiefere Thematik und Kohärenz. Formal wies das Lied bereits eine zu erkennende Struktur auf: Die drei Rapper ergreifen einzeln nacheinander, von Pausen getrennt, das Wort und beginnen ihre Strophen jeweils mit refrain-ähnlichen Variationen von „a hip hop, Hippie to the hippie, the hip, hip a hop, and you don't stop, a rock it“.
„Sugarhill bewies, dass es einen Markt für Straßenecken-Kultur gab“121 und nun folgten einige weitere bei verschiedenen Plattenfirmen erschienene Rap-Singles wie The Message im Jahr 1982: Grandmaster Flash & The Furious Five rappten diesmal nicht über Parties, Gewalt oder Frauen, sondern schickten der Öffentlichkeit eine „Botschaft“, in der sie unmissverständlich und realistisch122 die harten Lebensumstände in der Bronx schilderten, dem Ort ihrer Kindheit und Jugend:
broken glass everywhere
people pissing on the stairs, you know they just don't care
I can't take the smell, I can't take the noise no more
got no money to move out, I guess I got no choice
Der Message-Rap, entsprechend dem Liedtitel, mit einem konsistenten, meist politisch- sozialem Thema war fortan publikumsfähig geworden und ein zentrales Element von Rap: „Rap redete nicht mehr bloß, Rap hatte etwas zu sagen und fand damit seine eigentliche Bestimmung.“123 Für Themen wie das der Lebensrealität der Jugendlichen in der Bronx schien Rap aufgrund der hohen Dichte und Präsenz der Worte wie kein zweiter Musikstil geeignet, noch dazu war The Message auch musikalisch poptauglich:
Bei gesungenen Texten gibt es ohnehin die Tendenz, dass sie sich mit der Instrumentalspur vermischen, so dass man sich später nur noch an den Titel erinnert. Ein Problem, das bei Tanzmusik logischerweise nur noch größer wird. Rap-Texte dagegen werden abgetrennter von der Musik vorgetragen und die Möglichkeit, ins Detail zu gehen und direkt zu werden, ist größer. ,The Message‘ nutzte diese Möglichkeit mit einer Pop-Sensibilität, die aber gleichzeitig ein hartes Tanzstück hervorbrachte.124"
Rap auf Schallplatte und – damit verbunden – Rap im Aufnahme-Studio hatte viele Folgen für HipHop, ob kommerziell, musikalisch, sprachlich-stilistisch oder kulturell: Durch die massenmediale Verbreitungsmöglichkeit begab sich HipHop „auf den Weg von der Ereignis- zur bloßen Konsumkultur“,125 in der ein Produkt vielen Konsumenten gegenüber steht:
"Konnte DJ-Musik bis dahin [bis zum Zeitpunkt der ersten Veröffentlichung auf Schallplatte, d.V.] nur live, im Rahmen eines einmaligen, ortsgebundenen Ereignisses erlebt werden, bei dem das Publikum selbst als Resonanzkörper eine bedeutende aktive Rolle einnahm, so konnte der auf Vinyl gepresste Sound nun an jedem Ort von jedem Publikum – auf einer Party ebenso wie alleine vor dem Radio sitzend – konsumiert und jederzeit in der exakt gleichen Form wieder aufgerufen werden."126
Dimitriadis benutzt in diesem Zusammenhang den in der Mediengeschichte von Walther Benjamin geprägten Begriff der Aura; diese Aura, die grob als Einmaligkeit, Echtheit, Ritualhaftigkeit und „Hier und Jetzt“ eines Kunstwerkes zu verstehen ist, verfiel im Zuge der Massenmedialisierung:127
"Early hip hop performances were unique events, available only to participants and accessed only through participation. The art ́s aura, its ritual-function so to speak, was a strong and defining one. Yet, with hip hop ́s movement into commodity form and commodity culture, this aura evaporated. Rap texts became available to anyone, anywhere, to be put to multiple – virtually limitless – uses. These texts have become part of the ,performances of the everyday‘, deployed moment-to-moment in multiple contexts of use, by often intensely disaffected young- people."128
Durch das private Hören und die entkörperlichten Texte wurde der MC in seiner Rolle als performativer Akteur entwertet: Gesten und Mimik fielen durch das akustische Medium weg.129 Zwar war und ist der Live-Auftritt noch immer fester Bestandteil der HipHop-Kultur, doch seine Bedeutsamkeit, vor allem in kommerzieller Hinsicht, hat stark abgenommen. Hinsichtlich der Rezeption lässt sich sagen, dass statt eines geschlossenen Kreises die gesamte Weltöffentlichkeit Rap nun wahrnehmen konnte. In diesem Kontext vergleicht Chuck D. von der Rapband Public Enemy Rap mit einem Nachrichtensender für Schwarze:
"Initially Rap was America ́s informal CNN because when Rap records came out somebody from far away could listen to a Rap record because it used so many descriptive words and get a visual picture from what was being said. So a person that was coming up in Oakland would listen to a record from New York and get visualization of what New York was about."130
Kritische Untertöne zu dieser Entwicklung finden sich bei Farin:
"Die Botschaften des Rap erreichen nun millionenfach die Ohren von Jugendlichen, die den sozialen Kontext der Entstehungsgeschichte des Rap nicht kennen bzw. nicht nachvollziehen können, weil sie niemals in ihrem Leben einen Fuß in die realen Ghettos gesetzt hatten."131
Der Bruch in der Geschichte durch die Kommerzialisierung wird seitdem ständig in der HipHop-Szene diskutiert und in den Rap-Texten reflektiert. In diesem Zusammenhang wird oft von den gegensätzlichen Begriffspaaren Oldschool und Newschool gesprochen, der Zeit vor den Plattenfirmen und der danach, Underground und Mainstream, bezogen auf den kommerziellen Erfolg, der nach Ansicht vieler HipHopper nicht vereinbar mit guter Qualität ist, oder auch der negativ besetzten Bezeichnung Sell Out, dem Ausverkauf des HipHop.132 Für den afro-amerikanischen Diskurs muss auch hinzugefügt werden, dass die Chefs der großen Plattenfirmen üblicherweise Weiße waren, die am meisten am Erfolg der schwarzen Rapper verdienten. Rap in seiner direkten und vom Slang geprägten Form ließ sich inmitten von angepasster Popmusik nie vollständig bändigen, und darin lag auch seine Besonderheit und sein Verkaufserfolg:
"Unentdeckt vom Rest der Welt existierten Hip-Hop, Rap, Breakdancing und Graffiti-Kunst von ihren Anfängen 1973 bis 1979/80 nur für ihre Anhänger. In dieser Zeit wurden alle Grund- bestimmungen der Hip-Hop-Kultur vorgenommen und dieser [der Hip-Hop-Kultur, d.V.] eingeimpft. Als der Rest der Welt anfing, sich für das ,schwarze neue Ding‘ aus der Bronx und Harlem zu interessieren, hatte es sich schon so gefestigt und gestärkt, dass ihm dieses Interesse nichts von der ursprünglichen Kraft und Intention nehmen konnte. Die Kultur der 80er Jahre hatte damit ihre einzig authentische und in diesem Sinne unpostmoderne Position entdeckt."133
Am wichtigsten für diese Arbeit sind jedoch die sprachlich-stilistischen und inhaltlichen Auswirkungen von Technologie und Literalität:
Dadurch, dass die Texte im Studio bis zur Perfektion eingerappt wurden, waren diese üblicherweise im Vorhinein verschriftlicht und konnten somit, im Gegensatz zur Live- Performance, immer wieder bearbeitet werden: sowohl bei der Produktion, also beim Schreiben und im Aufnahmeprozess, bei dem mehrere Instrumental- wie auch Vokal- passagen übereinandergeschichtet werden konnten, als auch bei der Postproduktion mittels klanglich-akustischer Effekte und Manipulationen.134 Infolge dieser technischen Möglichkeiten, die gleichzeitig Zwänge aufbürdete, wurde der Einsatz sprachlicher Stilmittel in Quantität und Qualität bedeutend erhöht.
Zudem konnten die Lieder auf Schallplatte, anders als bei der Einmaligkeit des Live- Aufrtitts, auch mehrmals rezipiert werden und mussten somit nicht beim ersten Hören akustisch verstanden und begriffen werden, was sich wiederum auf die Konzeption auswirkte: Die Raps konnten dichter und komplexer, auch verrätselter gestaltet werden.135 Waren im Anfangsstadium die Raptexte thematisch meist zusammenhangslos, da sie aus der Situation heraus improvisiert bzw. aus verschiedenen Phrasen zusammengesetzt wurden, ermöglichte der Prozess des „einsamen Schreibens“ Lieder mit einem konsistenten und ernsthaften Thema. Ein Genre, welches sich vermutlich nur durch den technischen Umbruch im Rap und schriftliche Konzeption entwickeln konnte, ist der abstrakte Rap, "der nicht mehr auf schneller Erkennbarkeit beruht, sondern der – sofern man den schnell gesprochenen Text versteht – erst sukzessive wirkt [...] Dieser ,abstrakte‘ Rap geht im Kombinieren sprachlicher Ausdrücke und dem Sprengen von Konventionen viel weiter. Er bezieht sich auf mentale Zustände/Prozesse auf seiten des Rappers und der Zuhörer."136
Mit dem abstrakten und dem Message-Rap mit seinem sozialkritischen Anspruch emanzipierten sich Rap und Rapper gleichermaßen und entstiegen der reinen Spaßkultur:
"This was a key moment of critical validation for hip hop – the moment when it moved from being ,just‘ a party music to being a music with seeming depth and complexity. It was a moment when rap drew upon the deep-bodied sense of artistic craft so enmeshed in the academic imagination. The self-professed trappings of artistic and pedagogic complexity came hand-in-hand with a focus on the individual artist. [...] Rappers were no longer only entertainers but self- professed poets, articts, and intellectuals."137
Die Loslösung von der unmittelbaren Live-Situation zwang den Rapper nicht mehr, auf das Publikum oder einen mitstreitenden Rapper zu reagieren und mit ihm zu interagieren, sondern ließ ihm einen größeren thematischen Spielraum: Die Routinen des Call and Response verflüchtigten sich, und wenn sie eingesetzt wurden, dann lediglich, um eine Live-Situation zu simulieren wie im oben erwähnten The Breaks
Der Übergang vom Live-Event zum Rap auf Schallplatte weist durchaus Parallelen zum Übergang von Oralität und Literalität auf, wobei immer zu beachten ist, dass Rap in seiner Form erst in einer literalen Gesellschaft entstanden ist, aber viele orale Kennzeichen trägt, wie im Verlauf dieser Arbeit noch herausgestellt werden wird. So schreibt Ong über den oralen Vortrag: „Erzähler erzählen das, was die Zuhörer wünschen oder akzeptieren.“138 Dies trifft auch auf den frühen Rap zu, der sich während der Live-Situation spontan entwickelte und immer auf das Publikum sowie die aktuelle Situation bezog. Mit Rap auf Schallplatte nahm die Planung im Produktionsprozess zu, die Texte wurden im Vorhinein niedergeschrieben und bearbeitet – und dies in Distanz zum Publikum. Dass erst dadurch selbstreflexive Texte wie The Message möglich wurden, liegt nahe und deckt sich mit folgender Auswirkung des Schreibens:
"Das Schreiben steigert die Bewusstheit. Entfernung vom natürlichen Milieu kann uns nützen, sie ist in vieler Hinsicht unabdingbar für das menschliche Leben. Um zu leben, um voll zu verstehen, benötigen wir nicht nur Nähe, sondern auch Entfernung. Schreiben schafft diese Entfernung, dient so, wie nichts anderes, dem Bewusstsein."139
Ong schreibt hierzu außerdem an anderer Stelle:
"Gerade die Reflekthiertheit des Schreibens – begünstigt ebenso durch die, im Vergleich zum Sprechen, Langsamkeit des Schreibvorgangs, wie durch die, gemessen am oralen Künstler, Abgeschiedenheit des Schreibenden – fördert das Entstehen des Bewusstseins aus dem Unbewussten."140
Auch das Wissen um die Tatsache, dass der Rezipient nicht mehr nur derjenige in der Live-Situation, sondern auch der am heimischen Plattenspieler oder Radio sein kann, ließ – trotz anfänglicher Bedenken beim Message-Rap 141 – diese neue thematische Ausrichtung zu. Da der Rezipient nun im Moment des Hörens keinem gerade stattfindendem Event beiwohnte, das von einem Rapper kommentiert werden konnte bzw. musste, rückten zwangsläufig Inhalt und Form des Textes in den Vordergrund.142
Nach dem kommerziellen Erfolg von Rap wurden bald auch Radio- und TV-Shows gesendet, 1983 wurde der erste HipHop-Film Wildstyle gedreht, der die neue Subkultur auf der ganzen Welt populär machte. Ein Jahr zuvor gingen die bekanntesten Rap- Gruppen aus New York gemeinsam in Europa auf Tour.143
An dieser Wegmarke soll im Folgenden keine komplette Geschichte des US- amerikanischen Rap mehr erzählt werden, der sich ab den 1980er Jahren in zahlreiche Richtungen entwickelte; auf einige bedeutsame Rapper und Plattenfirmen sei jedoch noch hingewiesen: Die meisten der New Yorker Rapgruppen wie beispielsweise Run DMC und LL Cool J waren bei der Plattenfirma Def Jam unter Vertrag, mit dessen Aufbau 1984 David Toop die New School offiziell beginnen lässt.144 Mit Russell Simmons saß neben dem weißen Rick Rubins nun erstmals auch ein Schwarzer in der Führungsetage einer für Rap äußerst bedeutenden Plattenfirma. Die Szene hatte nun gelernt, unabhängige Strukturen aufzubauen und somit das eigene, kreative Potential zu nutzen und weiterzuentwickeln.145
Run DMC, bekannt auch durch Zusammenarbeit mit dem Rockstar Aerosmith, etablierte wie keine zweite Gruppe Rap als Zusammenspiel von puristisch perkussiven Beats mit rhythmisierten Sprechen,146 während beispielsweise Rakim die Kunst des mehrsilbigen Reimens perfektionierte: Die Texte wurden insgesamt komplexer und dichter;147 und auch musikalisch entfernte sich Rap mehr und mehr von Pop und Disco durch die Musikproduktion mittels der Samplingtechnik.148
Das Produzieren von Rap – das Konsumieren sowieso – war nicht mehr nur auf die schwarze Hautfarbe beschränkt: Bei Def Jam veröffentlichte 1986 die weiße und jüdische Rap-Formation Beastie Boys das Album Licensed to Ill, das zum erfolgreichsten Rap-Album der 1980er Jahre wurde.149 Und nicht mehr nur auf New Yorker Boden sprossen die MCs hervor.
now, what you hear is not a test, I'm rappin' to the beat
and me, the groove, and my friends are gonna try to move your feet.
Sugarhill Gang (1979): Rapper ́s Delight
Die erste weltweit erfolgreiche Rap-Single109 im Jahr 1979 markierte einen eklatanten Einschnitt in der Entwicklung von HipHop: Rapper ́s Delight der Sugarhill Gang aus New Jersey landet auf Platz 36 der US-Charts und Platz 3 der UK-Charts: Rap feiert seinen weltweiten kommerziellen Durchbruch und löst sich von den anderen Elementen des HipHop bzw. HipHop wird fortan synonym für Rap gebraucht.110
Die New Yorker HipHop-Szene blickte teils neidisch, teils aber auch empört auf das zusammengewürfelte Trio111 aus dem benachbarten New Jersey, denn sie sehen nicht nur den Erfolg der Rapper, sondern sie erkennen in den Strophen auch einige ihrer eigenen Reime wieder;112 wurden diese Phrasen zuvor von jedermann wie selbstverständlich auf den Jams113 in verschiedenen Variationen gebraucht,114 entstand nun, als diese Reime auf Schallplatte erstmals fixiert und öffentlich waren, eine Debatte um Autorschaft und Originalität im Rap.
Das für die Masse konzeptionierte Lied der Sugarhill Gang, benannt nach der Plattenfirma, wies klanglich betrachtet enorme Unterschiede zu den Bühnenevents auf: Die musikalische Grundlage bildeten keine durch einen DJ virtuos aneinandergereihten Breaks, sondern das im selben Jahr höchst erfolgreiche Disco-Lied Good Times von Chic, welches für Rappers Delight mit Musikern im Studio nachgespielt wurde115 und sich dank seiner repetitiven Struktur und eingängiger Melodie gleichsam für Rap und das Ohr des Massenmarktes eignete.116
Der Text war zwar noch immer stark an die Live-Situation angelehnt und sprach zu einem fiktiven Publikum,117 doch der fast eine Viertelstunde anhaltende Vortrag war hinsichtlich seiner Rhythmik und Dynamik eher monoton:
"Musikalisch war die Platte allerdings weniger aufregend. In den frühen Tagen der Maxi-Single pflegte man die verfügbare Zeit voll zu nutzen. [...] 14 Minuten und 10 Sekunden Non-Stop- Reime der Sugarhill Gang erinnerte eher an den Landfunk oder die Börsenkurse."118
Gründe hierfür sind auch in der „glatten“ Abmischung für das Radio und den Massenmarkt zu sehen, wobei extreme Spitzen in der Lautstärke, sehr basslastige Frequenzen und sonstige Verzerrungen lieber vermieden werden. Doch gerade diese Merkmale und das „Arbeiten im roten Bereich“119 sind eigentlicher Bestandteil im Produktionsprozess von Rap.
In seiner inhaltlichen Struktur war Rapper ́s Delight immer noch – wie alle frühen Raps – „a loose mix of boasts, brags [beides Formen des Selbstlobes, d.V.], artist-audience routines, and short narratives“120 ohne tiefere Thematik und Kohärenz. Formal wies das Lied bereits eine zu erkennende Struktur auf: Die drei Rapper ergreifen einzeln nacheinander, von Pausen getrennt, das Wort und beginnen ihre Strophen jeweils mit refrain-ähnlichen Variationen von „a hip hop, Hippie to the hippie, the hip, hip a hop, and you don't stop, a rock it“.
„Sugarhill bewies, dass es einen Markt für Straßenecken-Kultur gab“121 und nun folgten einige weitere bei verschiedenen Plattenfirmen erschienene Rap-Singles wie The Message im Jahr 1982: Grandmaster Flash & The Furious Five rappten diesmal nicht über Parties, Gewalt oder Frauen, sondern schickten der Öffentlichkeit eine „Botschaft“, in der sie unmissverständlich und realistisch122 die harten Lebensumstände in der Bronx schilderten, dem Ort ihrer Kindheit und Jugend:
broken glass everywhere
people pissing on the stairs, you know they just don't care
I can't take the smell, I can't take the noise no more
got no money to move out, I guess I got no choice
Der Message-Rap, entsprechend dem Liedtitel, mit einem konsistenten, meist politisch- sozialem Thema war fortan publikumsfähig geworden und ein zentrales Element von Rap: „Rap redete nicht mehr bloß, Rap hatte etwas zu sagen und fand damit seine eigentliche Bestimmung.“123 Für Themen wie das der Lebensrealität der Jugendlichen in der Bronx schien Rap aufgrund der hohen Dichte und Präsenz der Worte wie kein zweiter Musikstil geeignet, noch dazu war The Message auch musikalisch poptauglich:
Bei gesungenen Texten gibt es ohnehin die Tendenz, dass sie sich mit der Instrumentalspur vermischen, so dass man sich später nur noch an den Titel erinnert. Ein Problem, das bei Tanzmusik logischerweise nur noch größer wird. Rap-Texte dagegen werden abgetrennter von der Musik vorgetragen und die Möglichkeit, ins Detail zu gehen und direkt zu werden, ist größer. ,The Message‘ nutzte diese Möglichkeit mit einer Pop-Sensibilität, die aber gleichzeitig ein hartes Tanzstück hervorbrachte.124"
Rap auf Schallplatte und – damit verbunden – Rap im Aufnahme-Studio hatte viele Folgen für HipHop, ob kommerziell, musikalisch, sprachlich-stilistisch oder kulturell: Durch die massenmediale Verbreitungsmöglichkeit begab sich HipHop „auf den Weg von der Ereignis- zur bloßen Konsumkultur“,125 in der ein Produkt vielen Konsumenten gegenüber steht:
"Konnte DJ-Musik bis dahin [bis zum Zeitpunkt der ersten Veröffentlichung auf Schallplatte, d.V.] nur live, im Rahmen eines einmaligen, ortsgebundenen Ereignisses erlebt werden, bei dem das Publikum selbst als Resonanzkörper eine bedeutende aktive Rolle einnahm, so konnte der auf Vinyl gepresste Sound nun an jedem Ort von jedem Publikum – auf einer Party ebenso wie alleine vor dem Radio sitzend – konsumiert und jederzeit in der exakt gleichen Form wieder aufgerufen werden."126
Dimitriadis benutzt in diesem Zusammenhang den in der Mediengeschichte von Walther Benjamin geprägten Begriff der Aura; diese Aura, die grob als Einmaligkeit, Echtheit, Ritualhaftigkeit und „Hier und Jetzt“ eines Kunstwerkes zu verstehen ist, verfiel im Zuge der Massenmedialisierung:127
"Early hip hop performances were unique events, available only to participants and accessed only through participation. The art ́s aura, its ritual-function so to speak, was a strong and defining one. Yet, with hip hop ́s movement into commodity form and commodity culture, this aura evaporated. Rap texts became available to anyone, anywhere, to be put to multiple – virtually limitless – uses. These texts have become part of the ,performances of the everyday‘, deployed moment-to-moment in multiple contexts of use, by often intensely disaffected young- people."128
Durch das private Hören und die entkörperlichten Texte wurde der MC in seiner Rolle als performativer Akteur entwertet: Gesten und Mimik fielen durch das akustische Medium weg.129 Zwar war und ist der Live-Auftritt noch immer fester Bestandteil der HipHop-Kultur, doch seine Bedeutsamkeit, vor allem in kommerzieller Hinsicht, hat stark abgenommen. Hinsichtlich der Rezeption lässt sich sagen, dass statt eines geschlossenen Kreises die gesamte Weltöffentlichkeit Rap nun wahrnehmen konnte. In diesem Kontext vergleicht Chuck D. von der Rapband Public Enemy Rap mit einem Nachrichtensender für Schwarze:
"Initially Rap was America ́s informal CNN because when Rap records came out somebody from far away could listen to a Rap record because it used so many descriptive words and get a visual picture from what was being said. So a person that was coming up in Oakland would listen to a record from New York and get visualization of what New York was about."130
Kritische Untertöne zu dieser Entwicklung finden sich bei Farin:
"Die Botschaften des Rap erreichen nun millionenfach die Ohren von Jugendlichen, die den sozialen Kontext der Entstehungsgeschichte des Rap nicht kennen bzw. nicht nachvollziehen können, weil sie niemals in ihrem Leben einen Fuß in die realen Ghettos gesetzt hatten."131
Der Bruch in der Geschichte durch die Kommerzialisierung wird seitdem ständig in der HipHop-Szene diskutiert und in den Rap-Texten reflektiert. In diesem Zusammenhang wird oft von den gegensätzlichen Begriffspaaren Oldschool und Newschool gesprochen, der Zeit vor den Plattenfirmen und der danach, Underground und Mainstream, bezogen auf den kommerziellen Erfolg, der nach Ansicht vieler HipHopper nicht vereinbar mit guter Qualität ist, oder auch der negativ besetzten Bezeichnung Sell Out, dem Ausverkauf des HipHop.132 Für den afro-amerikanischen Diskurs muss auch hinzugefügt werden, dass die Chefs der großen Plattenfirmen üblicherweise Weiße waren, die am meisten am Erfolg der schwarzen Rapper verdienten. Rap in seiner direkten und vom Slang geprägten Form ließ sich inmitten von angepasster Popmusik nie vollständig bändigen, und darin lag auch seine Besonderheit und sein Verkaufserfolg:
"Unentdeckt vom Rest der Welt existierten Hip-Hop, Rap, Breakdancing und Graffiti-Kunst von ihren Anfängen 1973 bis 1979/80 nur für ihre Anhänger. In dieser Zeit wurden alle Grund- bestimmungen der Hip-Hop-Kultur vorgenommen und dieser [der Hip-Hop-Kultur, d.V.] eingeimpft. Als der Rest der Welt anfing, sich für das ,schwarze neue Ding‘ aus der Bronx und Harlem zu interessieren, hatte es sich schon so gefestigt und gestärkt, dass ihm dieses Interesse nichts von der ursprünglichen Kraft und Intention nehmen konnte. Die Kultur der 80er Jahre hatte damit ihre einzig authentische und in diesem Sinne unpostmoderne Position entdeckt."133
Am wichtigsten für diese Arbeit sind jedoch die sprachlich-stilistischen und inhaltlichen Auswirkungen von Technologie und Literalität:
Dadurch, dass die Texte im Studio bis zur Perfektion eingerappt wurden, waren diese üblicherweise im Vorhinein verschriftlicht und konnten somit, im Gegensatz zur Live- Performance, immer wieder bearbeitet werden: sowohl bei der Produktion, also beim Schreiben und im Aufnahmeprozess, bei dem mehrere Instrumental- wie auch Vokal- passagen übereinandergeschichtet werden konnten, als auch bei der Postproduktion mittels klanglich-akustischer Effekte und Manipulationen.134 Infolge dieser technischen Möglichkeiten, die gleichzeitig Zwänge aufbürdete, wurde der Einsatz sprachlicher Stilmittel in Quantität und Qualität bedeutend erhöht.
Zudem konnten die Lieder auf Schallplatte, anders als bei der Einmaligkeit des Live- Aufrtitts, auch mehrmals rezipiert werden und mussten somit nicht beim ersten Hören akustisch verstanden und begriffen werden, was sich wiederum auf die Konzeption auswirkte: Die Raps konnten dichter und komplexer, auch verrätselter gestaltet werden.135 Waren im Anfangsstadium die Raptexte thematisch meist zusammenhangslos, da sie aus der Situation heraus improvisiert bzw. aus verschiedenen Phrasen zusammengesetzt wurden, ermöglichte der Prozess des „einsamen Schreibens“ Lieder mit einem konsistenten und ernsthaften Thema. Ein Genre, welches sich vermutlich nur durch den technischen Umbruch im Rap und schriftliche Konzeption entwickeln konnte, ist der abstrakte Rap, "der nicht mehr auf schneller Erkennbarkeit beruht, sondern der – sofern man den schnell gesprochenen Text versteht – erst sukzessive wirkt [...] Dieser ,abstrakte‘ Rap geht im Kombinieren sprachlicher Ausdrücke und dem Sprengen von Konventionen viel weiter. Er bezieht sich auf mentale Zustände/Prozesse auf seiten des Rappers und der Zuhörer."136
Mit dem abstrakten und dem Message-Rap mit seinem sozialkritischen Anspruch emanzipierten sich Rap und Rapper gleichermaßen und entstiegen der reinen Spaßkultur:
"This was a key moment of critical validation for hip hop – the moment when it moved from being ,just‘ a party music to being a music with seeming depth and complexity. It was a moment when rap drew upon the deep-bodied sense of artistic craft so enmeshed in the academic imagination. The self-professed trappings of artistic and pedagogic complexity came hand-in-hand with a focus on the individual artist. [...] Rappers were no longer only entertainers but self- professed poets, articts, and intellectuals."137
Die Loslösung von der unmittelbaren Live-Situation zwang den Rapper nicht mehr, auf das Publikum oder einen mitstreitenden Rapper zu reagieren und mit ihm zu interagieren, sondern ließ ihm einen größeren thematischen Spielraum: Die Routinen des Call and Response verflüchtigten sich, und wenn sie eingesetzt wurden, dann lediglich, um eine Live-Situation zu simulieren wie im oben erwähnten The Breaks
Der Übergang vom Live-Event zum Rap auf Schallplatte weist durchaus Parallelen zum Übergang von Oralität und Literalität auf, wobei immer zu beachten ist, dass Rap in seiner Form erst in einer literalen Gesellschaft entstanden ist, aber viele orale Kennzeichen trägt, wie im Verlauf dieser Arbeit noch herausgestellt werden wird. So schreibt Ong über den oralen Vortrag: „Erzähler erzählen das, was die Zuhörer wünschen oder akzeptieren.“138 Dies trifft auch auf den frühen Rap zu, der sich während der Live-Situation spontan entwickelte und immer auf das Publikum sowie die aktuelle Situation bezog. Mit Rap auf Schallplatte nahm die Planung im Produktionsprozess zu, die Texte wurden im Vorhinein niedergeschrieben und bearbeitet – und dies in Distanz zum Publikum. Dass erst dadurch selbstreflexive Texte wie The Message möglich wurden, liegt nahe und deckt sich mit folgender Auswirkung des Schreibens:
"Das Schreiben steigert die Bewusstheit. Entfernung vom natürlichen Milieu kann uns nützen, sie ist in vieler Hinsicht unabdingbar für das menschliche Leben. Um zu leben, um voll zu verstehen, benötigen wir nicht nur Nähe, sondern auch Entfernung. Schreiben schafft diese Entfernung, dient so, wie nichts anderes, dem Bewusstsein."139
Ong schreibt hierzu außerdem an anderer Stelle:
"Gerade die Reflekthiertheit des Schreibens – begünstigt ebenso durch die, im Vergleich zum Sprechen, Langsamkeit des Schreibvorgangs, wie durch die, gemessen am oralen Künstler, Abgeschiedenheit des Schreibenden – fördert das Entstehen des Bewusstseins aus dem Unbewussten."140
Auch das Wissen um die Tatsache, dass der Rezipient nicht mehr nur derjenige in der Live-Situation, sondern auch der am heimischen Plattenspieler oder Radio sein kann, ließ – trotz anfänglicher Bedenken beim Message-Rap 141 – diese neue thematische Ausrichtung zu. Da der Rezipient nun im Moment des Hörens keinem gerade stattfindendem Event beiwohnte, das von einem Rapper kommentiert werden konnte bzw. musste, rückten zwangsläufig Inhalt und Form des Textes in den Vordergrund.142
Nach dem kommerziellen Erfolg von Rap wurden bald auch Radio- und TV-Shows gesendet, 1983 wurde der erste HipHop-Film Wildstyle gedreht, der die neue Subkultur auf der ganzen Welt populär machte. Ein Jahr zuvor gingen die bekanntesten Rap- Gruppen aus New York gemeinsam in Europa auf Tour.143
An dieser Wegmarke soll im Folgenden keine komplette Geschichte des US- amerikanischen Rap mehr erzählt werden, der sich ab den 1980er Jahren in zahlreiche Richtungen entwickelte; auf einige bedeutsame Rapper und Plattenfirmen sei jedoch noch hingewiesen: Die meisten der New Yorker Rapgruppen wie beispielsweise Run DMC und LL Cool J waren bei der Plattenfirma Def Jam unter Vertrag, mit dessen Aufbau 1984 David Toop die New School offiziell beginnen lässt.144 Mit Russell Simmons saß neben dem weißen Rick Rubins nun erstmals auch ein Schwarzer in der Führungsetage einer für Rap äußerst bedeutenden Plattenfirma. Die Szene hatte nun gelernt, unabhängige Strukturen aufzubauen und somit das eigene, kreative Potential zu nutzen und weiterzuentwickeln.145
Run DMC, bekannt auch durch Zusammenarbeit mit dem Rockstar Aerosmith, etablierte wie keine zweite Gruppe Rap als Zusammenspiel von puristisch perkussiven Beats mit rhythmisierten Sprechen,146 während beispielsweise Rakim die Kunst des mehrsilbigen Reimens perfektionierte: Die Texte wurden insgesamt komplexer und dichter;147 und auch musikalisch entfernte sich Rap mehr und mehr von Pop und Disco durch die Musikproduktion mittels der Samplingtechnik.148
Das Produzieren von Rap – das Konsumieren sowieso – war nicht mehr nur auf die schwarze Hautfarbe beschränkt: Bei Def Jam veröffentlichte 1986 die weiße und jüdische Rap-Formation Beastie Boys das Album Licensed to Ill, das zum erfolgreichsten Rap-Album der 1980er Jahre wurde.149 Und nicht mehr nur auf New Yorker Boden sprossen die MCs hervor.
( Markus Heide )
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